Der auf komplexe Systeme spezialisierte Philosoph und Physiker Marc Halévy wurde von der EM Strasbourg Business School und der Vereinigung Les Colibris eingeladen, um seine Vision der derzeit ablaufenden großen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Veränderungen zu präsentieren. Während der Phare-Konferenz am 9. Februar sezierte er die Mechanismen des Wandels unserer gegenwärtigen Ära und forderte die jungen Menschen auf, sich auf den neuen Zyklus einzulassen, der vor ihnen liegt. Ein trotz der Ernsthaftigkeit des Themas lebhafter und freudiger Gastbeitrag. Ausgewählte Ausschnitte.
Der Paradigmenwechsel
„Was kommt auf uns zu? Etwa alle 550 Jahre steht die Menschheit vor einem Paradigmenwechsel, einem Scheideweg, gegen die jeder Widerstand zwecklos ist. Wir befinden uns seit der Renaissance im Zyklus der Moderne, und heute treten wir in eine neu zu gestaltende Ära ein. Wir befinden uns an einem Scheideweg, der sich durch Brüche materialisiert, die Konflikte und große Turbulenzen hervorrufen. Und die Machtsysteme und -institutionen, die aus dem vorherigen Zyklus hervorgegangen sind (Politik, Medien, Klassen, Unternehmen...), bekämpfen den Beginn dieser neuen Ära. Sie versuchen, es zu leugnen oder sich dagegen zu stemmen, was völlig absurd ist. Glücklicherweise öffnen andere die Augen und suchen nach einem neuen Weg, eine andere Welt zu errichten“.
„Ein Scheideweg bedeutet Brüche in allen fünf Dimensionen jeder Organisation. “
Marc Halévy
Ökologisch
„Die Nachfrage nach Konsumgütern korreliert mit dem demographischen Wandel. Die Versorgung hängt von den Ressourcen unseres Planeten ab. Die demographische Explosion seit dem 19. Jahrhundert ist die Folge der industriellen und hygienischen Revolution. Sie bewirkte nicht zuletzt eine lange Wachstumsperiode, gestützt durch den Zugriff auf nicht erneuerbare Ressourcen und Energiequellen. Diese Idee des Wachstums ist heute eine Religion, die einzige Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen. Obwohl es unmöglich ist, genau vorherzusagen, wann das Ende der nicht erneuerbaren Ressourcen kommen wird, wissen wir, dass es eines Tages da sein wird. Was ist mit den erneuerbaren Ressourcen? Sie decken derzeit 17% der Bedürfnisse der Menschheit und werden niemals in der Lage sein, den Bedarf von mehr als 2 Milliarden Menschen zu decken. Im Jahr 2050 wird es 10 Milliarden von uns geben... Wir befinden uns heute nicht mehr in einer Logik des Überflusses, sondern des Mangels. Das nenne ich freudige Genügsamkeit. “
„Wir müssen lernen, mit weniger besser auszukommen! “
Marc Halévy
Digital
„Jede größere Innovation hat ihre Schattenseiten. Digitale und neue Technologien bilden da keine Ausnahme. Diese dunkle Seite ist ihr Beitrag zur Verdummung des Menschen. Sie bedienen sich seiner Faulheit, um ihn fernzusteuern. Aber keine Technologie sollte den Menschen fernsteuern: Es ist zwingend erforderlich, dass sie ihm untergeordnet bleibt und nichtumgekehrt. Dieses Thema wirft auch die Frage nach dem Einfluss einer Handvoll von Ingenieuren auf, die sich auf engstem Raum versammeln, diese Algorithmen erstellen und verbreiten. Wir stehen am Rande des Totalitarismus. Lesen Sie wieder einmal George Orwells 1984 oder Schöne neue Welt von Aldous Huxleys! “
Soziologisch
„Wir sehen, dass Unternehmen und Organisationen zu flexibleren, agileren, kooperativeren und freieren Modellen übergehen wollen. Großartige Idee! Aber ist unser derzeitiges Organisationsmodell angemessen? Nein! Alle unsere Organisationen, die aus dem Zyklus der Moderne hervorgegangen sind, bleiben pyramidenförmig und hierarchisch. Der produktivistische Imperativ erzwang lineare Baummodelle, die nur ein Minimum an Energie für unsere Beziehungen übrig ließen. Nehmen Sie die Europäische Union: Dieses Europa der Nationen ist eine Pyramide aus Pyramiden und funktioniert nicht. Wir sollten für sie die Funktionsweise eines Netzwerkes vorsehen, bei dem die Regionen den Vorrang vor den Staaten hätten, bei der das Subsidiaritätsprinzip, das Solidarität impliziert, es ermöglichen würde, die Probleme so bodenständig wie möglich auf lokaler Ebene zu lösen. “
„Die hierarchische Organisation in einem stabilen und berechenbaren Umfeld hat heute ihre Effizienz eingebüßt. “
Marc Halévy
Wirtschaftlich
„Der Fehler besteht darin, auf der Beibehaltung des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells zu beharren, das uns in dem auslaufenden Paradigma vom Handwerk und der Landwirtschaft zur Industrie geführt hat. Diese Industrie nach amerikanischem Vorbild besteht aus Gigantismus, Standardisierung, Volumen und niedrigen Preisen, steter Suche nach Größenvorteilen und hat letztendlich zu einem Qualitätsverlust geführt. Diese kapitalgierige und im hegemonialen Würgegriff des Finanzwesens befindliche Industrie hat am Ende ein spekulatives Delirium hervorgerufen. Lassen Sie uns heute von einer Logik des Preises zu einer Logik des Gebrauchswertes übergehen! Derselbe, der dazu führt, dass Verbraucher z.B. ihr Auto leasen, anstatt es zu kaufen. Diese Wende ist bereits im Gange. Für Unternehmen ist dies eine großartige Gelegenheit, Intelligenz in ihre Produkte und Dienstleistungen zu bringen, indem sie immaterielle Ressourcen integrieren, um den Nutzwert zu erhöhen. Und das ist gut so: Es gibt keinen Skaleneffekt bei immateriellen Ressourcen! “
„Engagieren Sie sich als künftige Manager, gründen Sie Ihr eigenes Unternehmen und werden Sie nicht zum Sklaven eines anderen! “
Marc Halévy
Ethologisch
„Fragen Sie heute einen jungen Menschen, ob er „im Leben Erfolg haben will“. Er wird Ihnen antworten: Erfolg im Leben? Was ich will, ist, dass mein Leben ein Erfolg wird. Ich genieße mein Leben, einschließlich meines Jobs, wenn ich stolz auf das bin, was ich tue. Der Blick der Anderen, die soziale Dimension oder die äußeren Zeichen des Erfolgs spielen dabei keine Rolle. Ja, wir sind Zeugen eines philosophischen und ethischen Wandels. “
Vom Unternehmergeist
„Wenn ich den zukünftigen Absolventen der EM Strasbourg Business School einen Rat geben müsste? Liegt darin denn nicht die Berufung einer Wirtschaftsschule, den Wunsch zu befeuern, etwas zu erschaffen? Die Lohnarbeit war eine außergewöhnliche Erfindung des 20. Jahrhunderts, um auf den Aufschwung der Industrien zu reagieren, aber ich glaube, sie ist heute in dieser turbulenten, komplexen und getrübten Welt tot.
Unternehmen und Wirtschaft der Zukunft: die EM Strasbourg Business School an der Speerspitze der Forschung
Unter der Verantwortung von Jean-Philippe Bootz fördert auch der Lehrstuhl für Wissensmanagement an der EM Strasbourg Business School einen prospektiven Ansatz. „Unsere Arbeit, für die wir uns mit dem Conservatoire national des arts et métiers zusammengetan haben, soll dazu beitragen, die Wirtschaft und die Unternehmen von morgen vorwegzunehmen“,erklärt Jean-Philippe Bootz. „Und zwar durch die Bewertung ihrer Auswirkungen auf Lernen, Innovation und Management. „Dieser Ansatz beruht auf einer Beobachtung: Nach dem Aufkommen ökonomischer Modelle auf de Grundlage des Preises bzw. später auf dem der Qualität, hat sich nun das Wissensmanagement als Basis durchgesetzt. „Die Herausforderung besteht darin, sich immer stärker und immer schneller als ihre Konkurrenten zu erneuern und die Bedürfnisse des Marktes zu antizipieren, “erklärt er. Ein permanenter Wettlauf, der zu einer fortschreitenden Transformation der Unternehmen führt: „Es bedeutet das Ende der pyramidalen Struktur von Organisationen zugunsten von „selbstorganisierten“ Strukturen mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Praxisgemeinschaften“, sagt er. Was ist seiner Meinung nach der Schlüssel zu dieser Forschung? „Die „traditionellen“ Erklärungsmodelle der Marktwirtschaft und des Unternehmens in Frage zu stellen zu."